"... und ich möchte

leben bis zuletzt!"

Praktikum im Hospiz

der 3. Besuch

Mein Auto parke ich unterhalb vom Marienkrankenhaus, so dass ich den schönen, stillen Weg durch Park und Garten zum Hospiz hochgehen kann. Unter der großen Eiche mit der Maria "Grotte" setze ich mich fünf Minuten hin um mich zu sammeln.

Herr W. ist gestorben...ich bin erschrocken wie schnell er ging, und traurig. Gute Reise..... Zuhause werde ich eine Kerze in der großen Gartenlaterne für ihn anzünden.

Herr O. sieht sehr schlecht aus, er ist nervös und gereizt, sagt er, und möchte nach kurzer Zeit wieder alleine sein.

Ich werde von den Schwestern gefragt, ob ich Herrn F. besuchen würde, er bekäme kaum Besuch, spreche nur arabisch oder französisch und sehr gebrochen englisch. Ich solle es nicht persönlich nehmen, wenn er schroff oder beleidigend sei. Ich begegne einem Mensch mit dem Gesicht eines Patriarchen, der wegen der Hitze in T-Shirt und Windel auf dem Bett liegt. Ein arabisches Nachrichtenprogramm läuft im Fernsehen. Herr F. stellt den Ton lautlos.

Ich spreche ihn auf Englisch an, er sagt auf französisch dass er in arabisch und französisch mit mir reden könne. Beides spreche und verstehe ich nicht. Seine wenigen Brocken englisch kann ich kaum verstehen und von dem was ich sage versteht er auch kaum etwas, so habe ich den Eindruck. Gestisch und auf englisch stelle ich mich vor und erkläre was ich hier im Hospiz tue, er zeigt, dass er etwas davon verstanden hat. Wir schweigen. Ich sitze an seiner Seite und wir schauen auf den Bildschirm mit arabischen Laufbandnachrichten....

Ab und zu sage ich etwas und wir schauen uns dabei an, ich sage ungeachtet der Sprachbarriere einfach alles was ich sagen möchte, kurz und auf englisch, begleitet von einigen Gesten. Ich achte darauf nur entweder auf den Fernseher oder in sein Gesicht zu sehen, nicht aber auf die Windelsituation, um seine Würde so gut es geht zu wahren. Fühle mich hilflos weil wir nicht miteinander reden können, aber es fühlt sich OK an hier mit ihm zu sein. Ich bleibe achtsam um Signale zu verstehen, wenn er möchte das ich gehe. Irgendwann hebt er mit der Rechten seinen linken Arm hoch und lässt ihn fallen: er zeigt mir, dass sein Arm gelähmt ist. Ich sage auch dazu  was auf englisch, auch wenn er mich nicht versteht.

Nach etwa 20 stillen Minuten kommt das Abendessen. Die Schwester setzt ihn auf. Er bittet mich gestisch das Spiegelei klein zu schneiden, denn mit einem Arm schafft er das nicht, zudem hat er mit seinem locker sitzenden Gebiss Schwierigkeiten zu kauen. Ich schneide das Ei in Stücke und achte darauf, ihm nicht vorm Gesicht rumzufuchteln, dass die Stücke eine angenehme Größe haben, dass es keine Gematsche auf dem Teller gibt und es appetitlich aussieht. Er fordert seine Gabel ein um zu essen, möchte aber auch die Brote geschnitten haben. So hole ich noch 2 Gabeln, eine für die Käsebrote und die andere fürs Marmeladenbrot und lege meine ganze Sorgfalt hinein, die Brote auf dem Teller so klein zu schneiden, dass ich ihn nicht beim Essen störe, er fertige Stückchen direkt erreichen kann, die Stückchen und der Teller schön aussehen, sie nicht aneinander hängen, der Belag drauf bleibt, sie nicht umkippen.....  Ich lege meine ganze Wertschätzung für ihn in diese kleine Arbeit und all meine Aufmerksamkeit und fühle mich froh dabei und dankbar, auf diese Weise einen Weg der Kommunikation gefunden zu haben. Herr F. isst schnell und mit gutem Appetit. Einmal blickt er auf und wir sehen uns still an. Zum Ende der Mahlzeit klingelt sein Smartphone und er beginnt ein Gespräch. Ich gehe aus dem Zimmer. Aus ich zum Verabschieden später noch einmal reinkomme, bedankt er sich, freut sich sichtlich und gibt mir einen Handkuss.

Ich gehe auf die Gemeinschaftsterasse, sitze im Abendwind, schaue in die Bäume und bin froh, hier zu sein. Dann erzähle ich noch kurz mit den Schwestern, fülle den Dokumentationsbogen aus und spaziere durchs Abendlicht runter zum Auto.